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Interview mit Ulrich Jäger, Wien

Interview mit Ulrich Jäger, Wien

Prof. Dr. med. univ. Ulrich Jäger war von 2004 bis 2021 Leiter der Klin. Abt. für Hämatologie und Hämostaseologie, Univ.-Klinik für Innere MedizinI an der Medizininischen Universität Wien. Ein Aufenthalt am Howard Hughes Medical Institute, Washington University, St. Louis, (1986 – 1989) machte ihn mit der internationalen Forschungsszene vertraut. Von 2011 – 2013 war er Präsident der European Hematology Association (EHA). Er ist Mitglied des Vorstands der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft.

 

Lieber Herr Jäger,

Quelle: MedUni Wien

kürzlich wurde das Positionspapier Digitalisierung der Medizin für das Patienten- und Gemeinwohl mit dem Untertitel „Handlungsempfehlungen der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für die Akteure im Gesundheitswesen“ veröffentlicht. Das Papier hat vor allem das deutsche Gesundheitswesen im Blick. Wie sieht es in Österreich aus?

Diese Initiative ist auch für Österreich von großer Wichtigkeit. Von Seiten der Wissenschaft und medizinischen Versorgung versuchen wir, Daten für die Optimierung der Versorgung nutzbar zu machen. Allerdings ist noch viel Überzeugungsarbeit bei Bevölkerung und Politik notwendig. Das Positionspapier, an dem auch einige österreichische Kollegen mitgearbeitet haben, soll uns dabei helfen.

Wie ist die Akzeptanz für die Bereitstellung individueller Daten bei Patienten in Ihrem Land?

In Österreich besteht eine relativ große Skepsis gegenüber der generellen Freigabe und Nutzung von Daten. Die europäische Datenschutzverordnung wird bei uns auch von Seiten der Behörden besonders streng ausgelegt. Auch im Gesundheitsbereich ist eine Wissenschaftsskepsis spürbar, die durch die COVID Situation nur kurzfristig etwas verbessert wurde. Von einer Bereitstellung wie in den skandinavischen Ländern sind wir ebenfallsweit entfernt.

Das Papier empfiehlt eine „opt-out-Lösung“ hinsichtlich der Zustimmung für die Erfassung der eigenen Daten. Wie löst Österreich diese Frage?

Das wäre natürlich die beste Lösung. Sie hat sich übrigens in Österreich bereits für die elektronische Gesundheitsakte bewährt. Davon haben lediglich 3% der Bevölkerung Gebrauch gemacht.

Wie stehen die österreichischen Ärztinnen und Ärzte zur Digitalisierung?

Wir erachten diese als wichtige Voraussetzung für optimale und rasche Entscheidungen. Für die Wissenschaft wären Auswertungen sehr hilfreich, sind derzeit aber durch bürokratische Hürden erschwert, was zu großem Ressourcenverlust führt. Außerdem geht alles sehr langsam – jetzt haben wir zumindest das elektronische Rezept. Die elektronische Gesundheitsakte gibt es , sie wird aber noch viel zu wenig genützt, und die enthaltenen Datensätze umfassen lange nicht alle wichtigen Befunde.

Hat die Digitalisierung für die Bewältigung der COVID-19 Pandemie in Ihrem Land eine entscheidende Rolle gespielt?

Grundsätzlich haben wir mit dem elektronischen Impfpass in dieser Zeit ein hilfreiches Instrument erhalten! Es wurden viele Daten erhoben und wissenschaftlich ausgewertet. Sie wurden aber meines Erachtens zu wenig flächendeckend für die gesamte Gesundheitsplanung genutzt. Außerdem hat es zu viele parallele und unkoordinierte Erhebungen gegeben. Das haben übrigens auch die Krankenkassen bemängelt, die viele ihrer Daten nicht durch die Behörden vernetzt und genutzt sahen.

Können Sie mit Ihrer klinischen Forschung in Österreich auf die Daten der Krankenversicherungen zurückgreifen? Wäre das für Ihr Fach und Ihre Forschung eine Erleichterung? Oder ist es schon so?

Grundsätzlich besteht eine große Bereitschaft der Kassen zur Zusammenarbeit. Für wissenschaftliche Auswertungen gibt es einige hervorragende Beispiele. In meinem Fach der Hämatologie konnten z.B. spezifische Therapien gegen den allgemeinen „Background“ verglichen werden – das war z.B. hilfreich zur Datenerhebung für altersabhängige Therapienutzung im Gesundheitssystem. Die Daten der Gesundheitskassen wären aber vor allem auch für die Versorgungsforschung – und besonders Planung – von großer Bedeutung.

Gibt es in Österreich eine elektronische Patientenakte. Wenn ja, wie ist Ihre Erfahrung damit?

Ja, in Österreich gibt es die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) seit mehreren Jahren. In vielen Fällen hat sie ihre Nützlichkeit bewiesen. So können z.B. in meinem Spital Daten von Laborergebnissen oder Bildgebung, die an anderen Orten erstellt wurden, abgefragt werden. Das hat sich auch mit dem elektronischen Impfpass in der COVID-Pandemie als hilfreich erwiesen. Patienten und Patientinnen können in einer opt-out Lösung den Zugriff kontrollieren.

Welche Empfehlungen geben Sie als Österreicher, aber auch als international renommierter Forscher, dem deutschen Gesundheitssystem?

Ich denke, die beiden Länder stehen, was die Datenvernetzung und Nutzung betrifft, vor ähnlichen Herausforderungen. Die Spezifika wie Krankenkassendeckung oder Struktur des Gesundheitssystems, etwa das Verhältnis von ambulantem zu stationären Bereich bzw. die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Bundesländern, sind unterschiedlich. Ich habe die Diskussion in unserem Nachbarland zur Etablierung der elektronischen Gesundheitsakte am Rande mitverfolgt. Das wäre ein großer Gewinn – in Österreich zeigen sich aber, trotz ihres Vorhandenseins, noch die ungenützten Möglichkeiten. Eine umfassende Datenvernetzung im Gesundheitswesen ist für uns als Wissenschaftler, aber auch für die strategische Planung in der Administration und Gesundheitspolitik unbedingt nötig. Das Positionspapier ist in diesem Sinne als Weckruf zu sehen. An viele Beteiligte, inklusive der Politik! Wesentlich wird es sein, von unserer Seite die Akzeptanz in der Bevölkerung zu fördern!

Herzlichen Dank für Ihre Zeit!

Prof. Tilman Sauerbruch, Bonn
Präsidium Walter-Siegenthaler-Gesellschaft