Zur Arbeit im Sachverständigenrat
Seit Februar 2023 bin ich als Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege tätig. Dieser Rat ist ein unabhängiges Gremium mit sieben Mitgliedern, der die Bundesregierung in gesundheitspolitischen Fragen berät und Gutachten zu verschiedenen Themen erstellt. Neben dem aktuellen Thema der Fachkräftesituation im Gesundheitswesen beschäftigte sich der Sachverständigenrat mit einer Vielzahl von Themen:
Gesundheitsversorgung und -finanzierung: Der Sachverständigenrat analysiert die Strukturen und Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems.
Qualität und Effizienz im Gesundheitswesen: Der Rat untersucht, wie die Qualität der medizinischen Versorgung verbessert werden kann.
Prävention und Gesundheitsförderung: Der Sachverständigenrat setzt sich mit Maßnahmen zur Prävention von Krankheiten und zur Förderung der Gesundheit auseinander.
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung untersucht der Rat die Chancen und Herausforderungen für das Gesundheitssystem.
Demografischer Wandel und Pflege: Der Sachverständigenrat analysiert die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Pflegebedürftigkeit und die Versorgung älterer Menschen.
Innovation und Forschung: Der Rat beschäftigt sich mit der Förderung von medizinischer Forschung und Innovation.
Gesundheitsberufe und Arbeitsbedingungen: Die Situation der verschiedenen Gesundheitsberufe, ihre Ausbildung und Arbeitsbedingungen sind ebenfalls Themen des Sachverständigenrats.
Die Arbeit des Sachverständigenrats ist von großer Bedeutung für die künftige Gestaltung der Gesundheitspolitik in Deutschland, das heißt die Gutachten sind sowohl auf kurzfristige als auch langfristige Umsetzung ausgelegt. Das aktuelle Gutachten zur Fachkräftesituation im Gesundheitswesen, das im April veröffentlicht wurde, macht verschiedene Vorschläge zur Bewältigung des Fachkräftemangels im Gesundheitssektor. Einige der wesentlichen Empfehlungen und Erkenntnisse sind hier zusammengefasst:
Es besteht kein Zweifel: Die Situation der Fachkräfte im Gesundheitswesen ist angespannt. Im Gutachten werden exemplarisch die drei zahlenmäßig größten, in der Patientenversorgung tätigen Berufsgruppen betrachtet, die Pflegefachpersonen, die Medizinischen Fachangestellten (MFA) und die Ärzt*innen. Alle drei Berufsgruppen werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) als Engpassberufe eingestuft, obwohl die Zahl der einschlägig Beschäftigten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Wenn die Versorgungsstrukturen nicht reformiert werden, wird der Bedarf an Fachkräften im Gesundheitssystem in den nächsten 10 bis 15 Jahren kontinuierlich stärker zunehmen als das Angebot. Außerdem sorgt der im internationalen Vergleich hohe Anteil an Teilzeitarbeit dafür, dass eine zunehmend höhere Zahl an Arbeitskräften benötigt wird, um den Bedarf zu decken.
Der internationale Vergleich der einzelnen Berufsgruppen liefert Hinweise darauf, dass im deutschen Gesundheitssystem relativ viele Beschäftigte pro Einwohner zur Verfügung stehen. Dennoch kommt es zu einer hohen Arbeitsbelastung der Beschäftigten, da es in Deutschland eine größere Zahl an Fällen bzw. Patient*innen pro Einwohner gibt. Dies deutet u. a. auf (arbeits-)organisatorische und strukturelle Schwächen im deutschen Gesundheitssystem hin. Die Behebung dieser Schwächen sollte im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Bemühungen stehen, weil die bloße weitere Erhöhung der Anzahl der Beschäftigten teuer ist, aufgrund der demografischen Entwicklung nicht realistisch erscheint und den Erhalt ineffizienter Strukturen fördert. Daher wird in diesem Gutachten ein Maßnahmenbündel vorgeschlagen, welches an unterschiedlichen Stellschrauben ansetzt, um dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen angemessen, wissenschaftlich fundiert und nachhaltig zu begegnen.
Die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten wird nicht ausreichen, um genügend Personal zur Deckung des gesamten Bedarfs zu rekrutieren. Hierzu muss in den nächsten Jahren ein Transformationsprozess in der Gesundheitsversorgung insgesamt vorangetrieben werden, insbesondere auch zur Reduktion des Fachkräftebedarfs im stationären Sektor, was wiederum eine bedarfsgerechte ambulante Versorgung sowie die Rekrutierung von Personal für die Langzeitpflege erleichtern kann. Ein zentraler Hebel ist die Reduktion der stationären Belegungstage durch verbesserte Koordination und Ambulantisierung. Dabei geht es nicht vorrangig um eine Reduktion des Personalbestands in der stationären Versorgung, sondern auch um eine Verbesserung der Arbeitsplatzattraktivität durch Verringerung der Arbeitsbelastung. In diesem Gutachten wird empirisch das Potenzial dargestellt, das von Strukturreformen zur Reduktion der Belegungstage ausgeht. Hierfür wurden Strukturreformen ausgewählt, die der Rat bereits in früheren Gutachten empfohlen hat und die in den letzten Jahren stets Teil der politischen Agenda waren, aber bisher nicht umgesetzt wurden. Das größte Potenzial zur Reduktion der stationären Belegungstage geht von einer Reform der Notfallversorgung aus (12,1–32,2 Millionen Belegungstage), aber auch die Ausweitung des Primärarztsystems auf die Regelversorgung (12,5–20 Millionen Belegungstage) sowie die konsequente Ausweitung der sektorengleichen Vergütung (6,3–12,6 Millionen Belegungstage) weisen ein erhebliches Potenzial auf. Daneben hätte die Etablierung von intersektoralen Zentren als Alternative zu ausgewählten Krankenhäusern der Grundversorgung ein deutliches Potenzial (1,2–2,7 Millionen Belegungstage). Auch Strukturreformen in der Langzeitpflege können die Fachkräftesituation nachhaltig verbessern.
Zusammenfassend soll das in dem Gutachten entwickelte Maßnahmenbündel über unterschiedliche Stellschrauben die Nachfrage nach Fachkräften reduzieren, das Angebot an Fachkräften soweit nötig und möglich erhöhen, vor allem aber durch strukturelle Verbesserungen den Einsatz der wertvollen Ressource „Fachkräfte“ gezielter und nachhaltiger gestalten.
Prof. Michael Hallek, Köln
Präsident der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft